Arbeit mit Heiner Holtappels

1975-1984

Unzufrieden mit den traditionellen bildnerischen Ausdrucksmitteln suchten wir nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Es ging um die Frage: “In welcher Form können Wir uns am besten ausdrücken und gleichzeitig so dicht wie möglich an uns selbst und unserem Lebensprozess bleiben?“ Wir lehnten es ab, uns durch den Filter herkömmlicher Medien auszudrücken und suchten nach einer direkten Darstellungsform des emotionalen Ausdrucks.

Als Lösung ergab sich für uns die Form der experimentellen Untersuchung. Dabei war die eigentliche Aktion das Wesentliche; Videoaufzeichnung, Fotos und Filme wurden in erster Linie als reine Dokumentationsmittel verstanden und eingesetzt. 1975 begannen wir unsere Untersuchungsreihe mit der Fragestellung: „Was für Kräfte stecken hinter Emotionsäusserungen und wie können wir diese Kräfte sichtbar machen?“ Wir gingen davon aus, dass eine Umkehrung der Abfolge eines Emotionsprozesses – beginnend mit dem Ausdruck einer Emotion – auch etwas offenbaren müsse über die Kräfte, die sie verursachen. (Lachen, Weinen, Zittern, Schlagen-1975-Nr. 1/2/3.) Es zeigte sich, dass das alleinige Dramatisieren von Emotionsäusserungen nicht notwendig zu einer Empfindung des dazugehörenden Gefühls führte. Es kam jedoch zu einer Bewusstwerdung und Neubewertung der als selbstverständlich erfahrenen und reaktiv ablaufenden Formen der Gefühlsäusserungen.

Unsere Aktionen wurden von der Idee bis zur Ausführung gemeinsam erarbeitet. Die Arbeit wurde dabei häufig durch unsere, ausserhalb der Rationalität liegenden Verhaltensweisen, die sich zwischen uns abspielten, beeinflusst. Diese Tatsache machten wir nun zum eigentlichen Thema. Zuerst wandten wir uns diesem Aspekt zu in der Untersuchung von Sprache. (Sprachformen-1975-Nr. 4.) Danach folgten die Untersuchungen von Körperhaltungen unter der Fragestellung: Wie wirkt sich die Körperhaltung in unserem Kommunikationsprozess aus? (Körpergespräche, Rollengespräche-1975-Nr. 5/6.)

Methodisch gesehen nahmen wir, aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöste, Körperhaltungen für eine vorher festgelegte Zeitdauer ein. Wir sprachen dabei über die Empfindungen, die durch diese Haltungen ausgelöst wurden. Wir machten somit die nonverbalen Mitteilungen zum Thema unserer verbalen Kommunikation. Den Abschluss dieser Kommunikationsserie bildete die Aktion “Siamesische Zwillinge“ (1976-Nr. 7). Wir verbrachten 8 Stunden in an der Brust zusammengenähten Overalls. Damit war die Richtung angegeben, in der sich unsere weitere Arbeit entwickelte: Die Untersuchung der psychischen Auswirkungen von äusseren, auf den Körper wirkenden Bedingungen. „Siamesische Zwillinge“ stellt eine komprimierte und symbolische Form unserer Zusammenarbeit dar.

Wir wandten uns nun wieder Einzelexperimenten zu. Dabei stand die persönliche Problematik der eigenen Psyche zentral. Ging es bei allen Aktionen schon darum, Erfahrungen zu machen, anstatt formal-ästhetische Fragestellungen weiterzuentwickeln, so gingen wir jetzt von Problemstellungen aus, die uns existentiell betrafen. (Sinnesentzug, Körpersituation + Atmung-l976-Nr. 8-15.) Auf der einen Seite betrachteten und behandelten wir uns hierbei selbst als Objekt, auf der anderen Seite stand die Absicht, tiefer in unsere subjektive Erlebniswelt einzudringen und die damit verbundenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

In unserer Art der Darstellung, nämlich mit Hilfe von extremen Situationen unsere Gefühle körperlich auszudrücken, sahen wir einen Berührungspunkt zu Erscheinungsformen aus dem Bereich der Psychiatrie: Wir verstanden die extremen Körperhaltungen von „schizophrenen Katatonen“ als einen direkten Ausdruck ihrer subjektiven Situation. Es faszinierte uns, dass Menschen in solch ausdrucksstarken Haltungen so aussergewöhnlich lange (oft für Stunden) verharrten und sich so, ohne den Gebrauch bildnerischer Mittel, direkt ausdrückten.

Wir versuchten zunächst durch Nachstellungen der extremen Haltungen uns dieser „Welt“ körperlich anzunähern. (Imitationen 1 + 2-1977-Nr. 16/17) Wir konnten die ausgewählten Haltungen nicht länger als maximal 4 Minuten einnehmen, ohne dass sich unsere Muskeln verkrampften und zu zittern begannen. So erfuhren wir etwas über das Vorhandensein der ungeheuren Energie, die es „Katatonikern“ ermöglicht, in solchen Haltungen stundenlang regungslos zu verharren.

In Kontakten mit Psychiatern und Patienten in- und ausserhalb psychiatrischer Kliniken versuchten wir hinter das Unbekannte, das Rätsel dieser, für Aussenstehende oft so bizarr und exotisch anmutenden Ausdruckswelt der “Schizophrenen“ zu kommen. In den Anstalten selbst fanden wir keine Exotik, eher eine durch Tranquilizer hervorgerufene, gedämpfte Trostlosigkeit. Die stark expressiven Ausdrucksformen waren mit dem Aufkommen von Beruhigungsdrogen aus dem Erscheinungsbild der psychiatrischen Einrichtungen verschwunden. Auch die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Theorien und deren Erklärungsversuchen gab uns keine befriedigende Antwort, wie der „Geisteskranke“ und seine Welt zu verstehen sei. Uns ging es auch nicht darum, die Ausdrucksformen der Geisteskranken rein formal als Kreativitätsäusserung zu betrachten und sie nach künstlerischen Kriterien wie „Originalität“ und „Einfallsreichtum” zu ordnen. Vielmehr ging es uns um den inneren Prozess, der sich in diesen Haltungen manifestiert.

Unsere Arbeit ist der Versuch, Kontakt zu dieser „Welt“ aufzunehmen und in Auseinandersetzung damit auch Kontakt zu der eigenen verborgenen Welt in uns selbst. Wir haben verschiedene Aspekte aus dieser Ausdruckswelt herausgegriffen und sie in eigene Aktionen umgesetzt. Es entstand eine Serie von Aktionen und Performances (Begrenzungen‚ Reminiszenz, Monotonie-1977/78-Nr. 18-30) die dieses Material aus einem Bereich ausserhalb der Kunst, wieder integrierte in unsere Form der Selbsterfahrung.